Ganz schön Alarm gemacht

Die Dortmunder Borussen erweisen sich als undankbare Gesellen und schubsen mit einem 2:1 im Frankenstadion den zunächst hoch überlegenen 1. FC Nürnberg näher an die Abstiegsplätze heran

aus Nürnberg TOBIAS SCHÄCHTER

Bahnhofskneipen sind trostlose Orte. Wer hier gern sein Bier trinkt, mit dem stimmt was nicht oder er hat seinen Zug verpasst. Hacki hat seinen Zug verpasst, und er versteht die Welt nicht mehr. Hacki ist Fan des 1. FC Nürnberg. „Isch das de Dank?“, fragt er beleidigt an der Theke, an der niemand sitzt, der ihm zuhört. 1:2 haben seine „Clubberer“ im Frankenstadion gerade gegen den deutschen Meister Borussia Dortmund verloren, und Hacki, der in der vollen FCN-Montur aussieht, als schrieben wir das Jahr 1970, stellt diese Frage, mit einer solchen Ernsthaftigkeit, dass man glaubt, er frage tatsächlich, um eine Antwort zu bekommen. „De Nikl hat se zum Meischder g’macht, un jetzt das!“

Ja, das Leben ist ungerecht. Zwei Spieltage vor Schluss gewannen seine Nürnberger letzte Saison durch ein Tor von Nikl gegen Bayer Leverkusen mit 1:0 und machten so Borussia Dortmund zum Meister. Jedenfalls in den Augen von Hacki und deshalb versteht er nicht, dass diese undankbaren Gesellen aus Westfalen nun ein halbes Jahr später, so ganz ohne schlechtes Gewissen, die Franken Richtung Abstiegsplätze schießen. „Dabei war mer so gut, in de erschde Halbzeit“, resümiert er. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Nürnberg spielte zwar gut, aber Dortmund auch „sehr, sehr schlecht“, wie deren Trainer Matthias Sammer zugab. „Eine große Trägheit“, will er gesehen haben, wofür er allerdings eine Erklärung parat hatte. „Moskau liegt ja nicht um die Ecke.“

Was stimmt, aber waren es nicht die Dortmunder selbst, die sich durch das 2:1 gegen Lokomotive Moskau in der Champions League am Dienstag mehr Selbstvertrauen in der Bundesliga erhofft hatten? Aber klar, die Reisestrapazen, Moskau liegt ja nicht um die Ecke, und als Frings schon in Minute vier den Ball vertändelte, Jarolim mit der lebenden Mauer Sasa Ciric doppelpasste und zur Club-Führung eindrosch, da waren plötzlich noch ein paar Kilo mehr im Gepäck der Dortmunder.

Warum die Gelb-Schwarzen das Spiel dann doch noch drehen konnten, hatte viele Gründe. Dortmunds Manager Michael Meier: „Wir haben Spieler auf der Bank, die ganz schön Alarm machen können.“ Ewerthon zum Beispiel, der für Amoroso kam. Der Alarmmacher bereitete nicht nur Rickens Ausgleich in der 55. Minute vor, sondern stellte auch die Sensoren von Klaus Augenthaler, Nürnbergs Trainer, durch seinen Siegtreffer zwölf Minuten vor Ende auf Alarmstufe rot: „Wir arbeiten uns konsequent nach hinten“, stellte der Niederbayer nach einem Blick auf die Tabelle zerknirscht fest: Platz 14. Selbst schuld.

„Wir sind in der ersten Hälfte nicht bestraft worden“, stellte Michael Meier gar nicht zerknirscht fest. Zum vierten Mal schon gaben die Nürnberger eine 1:0 Führung wieder her, und deshalb malt Augenthaler ein böses Ende an die Wand: „Irgendwann heißt es über uns: in Dummheit gestorben.“ Und da fehlende Konstanz Ausdruck mangelnder Qualität ist, werden sie am Valznerweiher wohl auch in dieser Saison bis zum Schluss um den Klassenerhalt der bangen.

Bange werden kann einem auch um Matthias Sammer, der meint nämlich, er sei überflüssig: „Ein gute Mannschaft gewinnt auch ohne Trainer.“ Aha! Sammer durfte im Frankenstadion nun schon zum vierten Mal in seiner noch jungen Trainerkarriere ein Spiel von der Tribüne aus zu Ende verfolgen: „So viel Arroganz ist mir selten begegnet“, sagte der rote Baron zu Schiedsrichter Markus Merk in der Pause. Dabei wollte der pfeifende Zahnarzt nur wissen, wo Sammer denn gewesen sei, vor zehn Tagen, als am Rande des Länderspiels gegen Holland beschlossen wurde, dass Schiedsrichter und Trainer im Stadion nicht mehr miteinander diskutieren dürfen. „So kommen wir nicht mehr zusammen“, meinte Sammer, Protagonist im seit Wochen nervenden Zank der Trainer und Spieler gegen die Schiedsrichter. Ernst gemeint hat er es scheinbar nicht. In der Schiedsrichterkabine fielen sich die beiden wieder um den Hals. Sammer war wohl froh, weiter nur acht Punkte Rückstand auf Herbstmeister Bayern zu haben.

Es hätten mehr sein können nach diesem Spieltag, meint Hacki. „No ah Bier“, will er. Der Wirt will ihm keines mehr geben. Man weiß eigentlich nicht warum, aber der Bahnhofskneipier kennt kein Erbarmen mit dem armen Hacki. „Isch das de Dank“, flucht Hacki zum Abschied. Der Wirt nimmt’s mit einem fiesen Lächeln. Er kann die fehlenden Einnahmen besser verkraften, als der Club und seine Fans die fehlenden Punkte.

1. FC Nürnberg: Kampa (46. Schäfer) - Sanneh, Kos, Petkovic, Nikl - Junior (78. Todorovic), Larsen, Jarolim, Müller - Cacau, CiricBorussia Dortmund: Lehmann - Wörns, Reuter, Metzelder - Heinrich, Ricken (73. Reina), Frings, Dede - Rosicky (87. Madouni) - Amoroso (46. Ewerthon), KollerZuschauer: 36.600Tore: 1:0 Jarolim (3.), 1:1 Ricken (54.), 1:2 Ewerthon (75.)